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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Ausgrabung einer römischen Polizeistation

Als am 25. Mai 1954 der Bagger bei den Aushubarbeiten für den Tankstellenneubau Zöller in der Römerstraße vor dem Oberen Tor in über eineinhalb Meter Tiefe auf römische Inschriftensteine stieß, ahnte damals noch niemand die große Bedeutung dieses neu entdeckten Fundplatzes. Eine Bedeutung, die sich allerdings erst 46 Jahre später in vollem Umfang zu erkennen geben sollte denn erst im Jahr 2000 fanden nach dem mittlerweile erfolgten Abriss der Tankstelle und vor Beginn einer Wiederbebauung umfangreiche Ausgrabungen statt.
Dr. Bernd Steidl von der Archäologischen Staatssammlung München, der die Ausgrabungen leitete, hielt am 20.9.2002 einen Diavortrag über die Ausgrabung. Der folgende Artikel fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen.

Überraschung unter dem Lehm
Die günstige Lage zwischen dem Main im Osten und dem Stadtberg, einem nördlichen Ausläufer des Odenwaldes, gegenüber der Einmündung der Elsava und flankierend zur Talöffnung der Mümling, dürfte die römischen Militärstrategen Ende des 1. Jahrhunderts zur Errichtung eines Limeskastells veranlasst haben. Zusammen mit sechs weiteren Militärposten von Seligenstadt bis Miltenberg reiht sich Obernburg in eine Überwachungslinie entlang des Mains ein, der hier als “nasser” Limesabschnitt die Grenze der Provinz Obergermanien (Germania superior) gegen das “freie” Germanien bildete.

Nach den Inschriftenfunden von 1954 war bekannt, dass sich im Umfeld der Fundstelle eine Station der beneficiarii des obergermanischen Statthalters befunden haben musste. Im Unteroffiziersstand der Benefiziarier versahen ausgewählte Soldaten ihren Dienst, die den beiden provinzeigenen Legionen in Mainz (legio XXII Primigenia) und Straßburg (legio VIII Augusta) entnommen und am Statthaltersitz in Mainz zusammengezogen worden waren. Von dort wurde ein Teil auf Außenposten in der Provinz verteilt.

Über den genauen Aufgabenbereich der Benefiziarier ist wenig Gesichertes bekannt. Aus den spärlichen Quellen sind der Einsatz zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in Ortschaften und auf Straßen, kriminalpolizeiliche Untersuchungen und Funktionen als Gerichtsbeamte herauszulesen. Tätigkeiten im Zusammenhang mit Warenströmen, vielleicht auch die Kontrolle des Zollwesens, werden vermutet. Besonders an den Limesorten ist es darüber hinaus vorstellbar, dass die Zivilbevölkerung in den Lagerdörfern vor der Willkür und möglichen Übergriffen des Militärs zu schützen war.

Die Benefiziarierstation von Obernburg befand sich knapp 100 m südlich des Kastells an der Ausfallstraße zum Nachbarlager in Wörth, aber innerhalb der Zivilsiedlung (vicus), die das Kastell umgab. Bei den Bauarbeiten 1954 war man auf sieben steinerne Altäre gestoßen, die umgestürzt neben ihren zugehörigen Sockeln lagen. Die Umstände des Baubetriebs erlaubten damals keine Ausweitung der Untersuchungen; allerdings machten die Funde bereits deutlich, mit welchen außergewöhnlichen Erhaltungsbedingungen an diesem Platz zu rechnen war, denn durch die Lage am Fuß des Stadtbergs hatte sich über der römischen Geländeoberfläche eine aufgeschwemmte Schicht sandigen Hanglehms von 1,10 – 2,50 m Mächtigkeit abgelagert und die Fundstelle vorzüglich überdeckt und konserviert.

Die Bedeutung der neuen Entdeckungen liegt vor allem darin begründet, dass es erstmals gelungen ist, im Gebiet des ganzen Römischen Reiches neben dem Weihebezirk auch das eigentliche Amts- und Wohngebäude des Benefiziariers teilweise aufzudecken und detaillierte Informationen über Größe, Architektur, zeitliche Entwicklung und Nutzung zu gewinnen. Lediglich eine weitere Anlage ist aus dem antiken Sirmium, dem heutigen Sremska Mitrovica in Serbien, bekannt. Von ihr existiert allerdings nur ein Übersichtsplan, der noch viele Fragen aufwirft. Einen Sakralbezirk der Benfiziarier kennt man in vergleichbarer Erhaltung auch aus Osterburken, ca. 50 km südlich von Obernburg.

Lageplan der Ausgrabungsstelle

Das Amtsgebäude
Das rechteckige, mit einer Schmalseite zur Straße orientierte Stationsgebäude konnte nur in seiner hinteren, westlichen Hälfte aufgedeckt werden. Die Gesamtausdehnung lässt sich jedoch durch den bekannten Verlauf der römischen Ausfallstraße, die die östliche Begrenzung gebildet haben muss, ermitteln. Bei einer Breite von knapp 18 m und der rekonstruierbaren Länge von 35,5 m ergibt sich die antike Bemaßung von 60:120 römischen Fuß.

Das Gebäude wurde in seinen Außenmauern als solider Steinbau errichtet. Im Inneren bestanden die Wände mit wenigen Ausnahmen aus Lehm-Fachwerk. Die Architektur folgt dem Bauschema des Mittelmeerraumes, was an einem Kastellort an der Grenze überrascht und nur selten nachzuweisen ist: im Zentrum des ergrabenen Teils befindet sich ein offener, ursprünglich von Säulen oder Pfeilern umstellter Innenhof (peristyl), der in seiner letzten Ausbauphase mit mächtigen Sandsteinplatten gepflastert war. In der Mitte des Innenhofes befand sich ein Laufbrunnen. Dieser bestand aus einem quadratischen, 150x150 cm messenden 80 cm hohen Trog aus verklammerten Sandsteinplatten. Spuren des Wasserzulaufes fanden sich nicht; dieser könnte aus einer Bleileitung bestanden haben, die nach der Auflassung der Station wegen ihres Materialwertes herausgerissen wurde. Vom Brunnen selbst fand man die meisten der schweren Bodenplatten sowie zwei Wandteile des Troges, womit eine Rekonstruktion der Anlage möglich ist.

Um den Innenhof, der von einem Wandelgang (porticus) umgeben war, gruppierten sich Räume verschiedener Funktion. Ein massiv gemauerter Raum in der südwestlichen Gebäudeecke besaß eine Fußbodenheizung, die von einer Arbeitsgrube im Nachbarraum bedient wurde. Der Fußboden bestand aus weißem Mörtelguß mit rotem Sandsteinbelag, der im ursprünglichen Zustand sehr ansprechend gewirkt haben muss. Die Wände trugen Malerei, von der sich jedoch nur wenig erhalten hat. Das Gemach wird zu Wohnzwecken des Benefiziariers gedient haben.

Der nördlich benachbarte Raum mit Stampflehmfußboden könnte als Speisezimmer (triclinium) zu interpretieren sein. Ihm schloss sich nördlich, jenseits eines Korridors, der Wirtschafts- und Küchentrakt an. In einer Nachgrabung im Frühjahr 2002 konnten Küche und Vorratskeller aufgedeckt werden.

Im Raum östlich des Kellers scheinen sich häufiger Soldaten in Ausrüstung aufgehalten zu haben, was sich aus bronzenen Zierbesätzen von Riemen und Gürteln schließen lässt, die ausschließlich hier gefunden wurden. Es liegt nahe, hierin ein Dienstzimmer zu sehen, worauf auch der Fund eines bronzenen Tintenfässchens schließen lässt.

Über die Nutzung der nicht ergrabenen Räume im vorderen Gebäudeteil lassen sich nur Spekulationen anstellen. Weitere Diensträume, evtl. ein Archiv und wahrscheinlich auch eine Arrestzelle können vermutet werden.

Leider sind diese Bereiche bei früheren Baumaßnahmen größtenteils zerstört worden. Auch wüsste man gerne etwas über die Fassadengestaltung dieses aufwändigen Bauwerks.

Der Weihebezirk
Sozusagen im Hinterhof der Station lag ein sakraler Bezirk, der zur Aufstellung von Altären diente. Unter den Benefiziariern war es Brauch oder Verpflichtung, nach Ablauf des nur sechsmonatigen Einsatzes auf der Station den Göttern zum Dank und zum Wohle der Angehörigen einen steinernen Altar zu stiften. Dieser trägt eine Inschrift, die die Gottheit(en), den Stifternamen mit Rangangabe sowie eine Weiheformel enthält. In der Mehrheit der Fälle werden darüber hinaus tagesgenaue Datierungen für die Aufstellung des Steines gegeben. Alle in Obernburg gefundenen Steine sind dem Iuppiter als oberster Staatsgottheit geweiht. In vielen Inschriften werden daneben Jupiters Gemahlin Iuno sowie der Schutzgeist der Örtlichkeit (Genius loci) genannt.

Der Weihebezirk war in der Anfangszeit in seiner Ausdehnung knapp bemessen. Er erstreckte sich nur etwa 4,5 m tief über die Gebäudebreite von 18 m und war rückseitig durch einen Holzzaun begrenzt. In etwas unregelmäßiger Anordnung wurden die Altäre vor diesem Zaun mit ihrer Vorderseite zum Dienstgebäude hin aufgestellt. Von diesen Steinen wurden noch vier aufrecht stehend am Ort ihrer ursprünglichen Platzierung angetroffen. Als die Breite in teilweise doppelter Reihung ausgefüllt war, nahm man eine Erweiterung des Geländes hinter dem Zaun vor. Nachdem auch dieses Areal mit Steinen besetzt war, richtete man weitere zwei bis drei Reihen vor den ältesten Weihesteinen auf. Später kam noch ein Areal im nördlichen Anschluss hinzu.

Die ursprüngliche Anzahl der aufgestellten Altäre ist nicht mehr zu bestimmen. Rein rechnerisch müssten über die gesicherte Mindestbestehenszeit der Station (80 Jahre) 160 Weihesteine aufgestellt worden sein. Aus den Funden ergeben sich über 70 Aufstellungen (Altäre bzw. Altarsockel), darunter 30 vollständige oder als Fragment erhaltene Altäre. Die Fehlzahl geht auf mittelalterliche Steingewinnung zurück. Die damals z.T. noch aus den angeschwemmten Lehmmassen herausragenden Altäre wurden als willkommenes Baumaterial ausgegraben und abtransportiert. Der Teil eines Benefiziariersteins aus der mittelalterlichen Stadtmauer von Obernburg und ein weiterer Stein, der sich bis vor kurzem in der Eisenbacher Kirche befand, zeugen davon. Auch im Grabungsgelände selbst haben sich entsprechende mittelalterliche Bauspuren gefunden.

Beginn und Ende der Station
Vor der Errichtung der Benefiziarierstation stand an gleicher Stelle ein mächtiger Fachwerkbau. Nachgewiesene 17 Handwerksöfen und einige weitere Funde lassen eine fabrica, d.h. in diesem Fall einen waffenverarbeitenden Betrieb vermuten. Die Abmessungen des Betriebes waren ungewöhnlich groß; wahrscheinlich handelte es sich um eine staatliche Einrichtung. Der Bau brannte teilweise ab, zum größeren Teil aber wurde er planmäßig abgerissen, um Platz für die geplante Benefiziarierstation zu machen. Durch entsprechende Funde lassen sich diese Arbeiten um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren. Damit lässt sich auch die Aufstellung des ältesten jahresdatierten Altares von 144 n. Chr. gut zur Deckung bringen.

Den jüngsten erhaltenen Altar stiftete Nertinius Festus am 13. Januar 224. Nach dem Ausgrabungsbefund brannte die Station etwa zehn bis zwanzig Jahre später vollständig ab. Es hat allerdings den Anschein, als sei sie zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen oder zumindest momentan nicht genutzt gewesen. Einzelne Waffenfunde könnten auf feindliche Einwirkungen bei der Zerstörung hinweisen. Anschließend wurden noch verschiedene Bauteile wohl für eine Wiederverwendung andernorts entfernt, bevor sich die wachsende Decke angeschwemmten Lehms schützend über die gesamte Fläche legte.

Funde
Die Fundmenge war nicht zuletzt wegen der außerordentlich guten Erhaltungsbedingungen sehr groß. Etwa 100 Paletten mit Steinfunden (Altären, Altarsockeln, Architekturteilen) und etwa 4 Kubikmeter Keramik und Knochenfunde wurden geborgen. Die aufwändigen Restaurierungsarbeiten sind noch in vollem Gange.

Brunnenstein
Im Bereich der jüngsten Erweiterung des Weihebezirks kam ein giebelförmiger Stein mit den Maßen 90x65x20 cm zu Tage, der mit einer schmucklosen Seite nach oben zuletzt eventuell als Unterlage für einen nicht mehr vorhandenen Altar gedient hatte. Einer halbrunden Aussparung an der Basis nach handelt es sich um einen Brunnenstein, der ursprünglich auf dem Rand eines steinernen Brunnentroges platziert war. Die Aussparung ermöglichte den Austritt der Wasserleitung bzw. die Anbringung eines Wasserspeiers. Die mit Spannung erwartete Freilegung der Vorderseite übertraf alle Vorstellungen: Es zeigte sich eine vertiefte, durch Gesimsleisten abgesetzte Vorderseite, die durch eine waagrechte Leiste zweigeteilt wird. Im giebelförmigen Oberteil ist mittig eine Muschelnische angebracht, zu beiden Seiten flankiert von fein gearbeiteten Blütenrosetten. Die untere Fläche wird von einer durch Profilleisten gerahmten Schrifttafel mit seitlichen Erweiterungen (tabula ansata) eingenommen. Diese Erweiterungen sind als Amazonenschilde (peltae) gestaltet, die Akanthusdekor tragen (Akanthus = stachliges Staudengewächs der Mittelmeerländer, Bärenklau). Ihre Enden laufen in Greifenköpfe aus, deren Schnäbel gestielte Eicheln fassen. Die Zwickel zwischen den Pelten und dem Schriftfeld sind mit kleinen Blütenrosetten gefüllt.

Die sauber gemeißelte Inschrift lautet:

I(ovi) O(ptimo) M(aximo) GENIO LOCI ET
NYMF(is et) FORTVNAE ME
LIORI G IANVARIVS
VICTORINVS B(ene) F(icarius) CO(n)S(ularis)
ID(ibus) IVL(iis) MAX(imo) ET AEL(iano) CO(n)S(ulibus)

 

 

 

“Dem obersten und besten Jupiter, dem Genius loci und den Nymphen und der Fortuna melior hat Gaius Ianuarius Victorinus, Benefiziarier des Statthalters (den Stein bzw. den ganzen Brunnen) geweiht am 15. Juli als Maximus und Aelianus Konsuln waren
 (=223 n. Chr.)”

In diesem Fall hat der Benefiziarier Victorinus offensichtlich anstelle eines Altares einen Brunnen oder wenigstens den darauf angebrachten Brunnenstein gestiftet. Der ursprüngliche Aufstellungsort ist bisher noch nicht bekannt. Dass der Stein mit dem Brunnen im Innenhof des Stationsgebäudes in Zusammenhang steht, ist nicht auszuschließen.

Votivblech und Bronzestatuette
Ebenfalls innerhalb der jüngsten Weihebezirks-Erweiterung fand sich ein kleines rituelles Depot. Es enthielt eine rund 26 cm hohe bronzene Statuette des Gottes Merkur mit rundem Sockel und den zugehörigen Götterattributen. Die waagrecht niedergelegte Statuette war mit einem silbernen Votivblech abgedeckt. Das Blech trägt eine getriebene Darstellung des Merkur, der innerhalb einer Architektur aus gedrehten Säulen, Nischenbogen und Dachgiebel steht. Der Gott wird von verschiedenen Attributen umgeben, darunter auch von einer Schildkröte.

Das sehr zerbrechliche und bei der Auffindung beschädigte Votivblech wurde zusammen mit der Statuette in einem Erdblock geborgen. Sie ist inzwischen restauriert. Die Figur war von einem hauchdünn getriebenen, einst vergoldeten Votivblech überdeckt, das ebenfalls den Götterboten zeigt. Mit viel Mühe haben es die Restauratoren in München geschafft, die Splitter soweit zusammenzusetzen, dass eine originalgetreue Replik angefertigt werden kann.
 

links:
Röntgenbild der
Bronzestatue des
Merkur, überdeckt von dem silbernen
Votivblech

 

 

 

rechts:
restauriertes
Votivblech

Die herausragenden Entdeckungen in Obernburg sorgten nicht nur in Fachkreisen für Aufsehen. Auch die Stadt Obernburg und der Grundeigentümer haben die Bedeutung des Fundes für die Stadtgeschichte und das Renommee als Römerstadt an der neu eingerichteten “Deutschen Limesstraße” erkannt. Sehr bald wurde der Wunsch nach einer angemessenen Präsentation vor Ort geäußert. Derzeit werden Überlegungen hinsichtlich eines Museumsneubaus und der Schaffung eines Zweigmuseums der Archäologischen Staatssammlung München angestellt.

Wollen wir hoffen, dass es auch in Zeiten der Finanzknappheit der Kommunen möglich sein wird, die einzigartigen Funde der römischen Benefiziarierstation in ihrer Gesamtheit in Obernburg zu behalten und sie in angemessener Form der Bevölkerung zugänglich zu machen. Es wird sich bestimmt lohnen!

Dr. Bernd Steidl / Bearbeitung Werner Trunk

Weitere Informationen zu den Ausgrabungsergebnissen und zur Restaurierung finden Sie unter:

www.lrz-muenchen.de/~arch/mitt/mitt097.htm

www.archaeologie-bayern.de/ab_re_mer.html