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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Die Jupitergigantensäule in Obernburg -
Beispiel für eine gelungene Romanisierung

Das römische Weltreich, das zu seiner Blütezeit vermutlich über 100 Millionen Einwohner aus den unterschiedlichsten ethnischen Gruppen beherbergte und vom Persischen Golf bis zum Atlantik reichte, entstand aus dem winzigen Stadtstaat Rom. Daher besaßen zunächst auch nur die dort ansässigen freien Bürger das römische Bürgerrecht. Man erwarb es durch Geburt, wenn beide Elternteile freie römische Bürger waren, durch Verleihung zum Beispiel nach abgeschlossener Dienstzeit im römischen Heer oder bei Sklaven durch Freilassung.

Die Bewohner der eroberten Provinzen galten als so genannte „Peregrine“ ohne römisches Bürgerrecht. Dieses erhielten die Provinzbewohner erst durch ein Dekret Kaiser Caracallas im Jahr 212 n. Chr. Die Eroberung eines Landes durch das römische Imperium führte im allgemeinen nicht zur Vertreibung oder der Vernichtung der einheimischen Bevölkerung, sondern die Bevölkerung blieb meistens ethnisch konstant. Bei dem Zuzug von Immigranten handelte es sich meistens um „Peregrine“ aus anderen Provinzen, die es als Legionäre, Auxiliartruppen, Händler oder Siedler in die eroberten Gebiete verschlug.

Bei der Besetzung der nördlichen Provinzen trafen die römischen Eroberer auf eine einheimische Bevölkerung, die entweder dem keltischen oder dem germanischen Sprachraum zuzuordnen war. Sowohl bei der Bezeichnung „Kelten“ als auch „Germanen“ handelt es sich nicht um die Bezeichnung einer geschlossenen Volksgruppe oder eines „Stammes“, sondern um eine Sammelbezeichnung für verschiedene Volksstämme, die einer bestimmten Sprachfamilie zuzuordnen waren.

Durch verschiedene Migrationsbewegungen der Germanen war die ursprünglich in unserem Gebiet ansässige keltische Bevölkerung in großer Zahl in den Südwesten Europas und auf die Inseln im Atlantik (das heutige Irland und Großbritannien) zurückgedrängt worden. Funde aus unserem Gebiet belegen jedoch, das der hiesige Siedlungsraum zur Zeit der römischen Besetzung nicht bevölkerungsleer war, sondern dass kleinere keltische Ansiedlungen, insbesondere entlang der Handelsstraßen, bestanden.

Die Kelten hatten schon seit Jahrhunderten einen regen Handelsaustausch mit dem römischen Reich betrieben. Interessanterweise finden sich entlang der Handelswege viele Scherben von Weinamphoren und Trinkgeschirren, so dass Wein als ein wichtiges Importgeschäft angesehen werden kann.

Im Gegensatz zu den Germanen, die man als Barbaren ansah, wurden die Kelten von den Römern, wenn nicht auf der gleichen Zivilisationsstufe stehend, so doch aber als kulturell hochstehend geachtet. Der Aufbau der keltischen Gesellschaft ähnelte sehr der römischen: an ihrer Spitze standen adelige Patrone und Fürsten, die  ähnlich den römischen  Patrizierfamilien  über eine große Gefolgschaft von abhängigen Klienten herrschten. Wie im römischen Reich rekrutierte sich die einflussreiche Priesterschaft, die Druiden, aus dem Adel. Man verehrte eine Vielzahl von Göttern, denen bestimmte Tugenden, Lebensbereiche und Funktionen zugewiesen wurden. Wirtschaftliche Zentren waren große stadtähnliche Ansiedlungen, die durch ein Verkehrswegenetz verbunden waren. Man benutzte schon seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. ein Münzwesen, das dem römischen angenähert war. Diese Übereinstimmungen erleichterten die „Romanisierung“. Insbesondere in der Frage der Religion konnten viele Übereinstimmungen festgestellt werden; viele der keltischen Gottheiten wurden ihren römischen Entsprechungen gleichgestellt .

Als Interpretatio Romana (lat. etwa: „römische Übersetzung“) bezeichnet man die römische Sitte, fremde Gottheiten durch Identifikation mit römischen Gottheiten der eigenen Religion einzuverleiben. Diese Interpretatio Romana erscheint als 'globalisierte' Fortführung der bereits in der griechischen Religion zu beobachtenden Tendenz, lokale Gottheiten mit überregionalen zu identifizieren, wodurch viele Götternamen zu bloßen Beinamen wurden und eine einheitliche gesamt-griechische Religion überhaupt erst entstand. Entsprechend entwickelte sich aus den verschiedenen Göttervorstellungen, die teilweise von den Etruskern oder von lokaler Götterverehrung übernommen wurden und der Vermischung mit griechischem Gedankengut eine einheitliche Römische Mythologie.

Die Interpretatio Romana trug als Methode aneignender Integration zum Religionsfrieden im römischen Reich bei, sie ist jedenfalls ein besonders bezeichnender Ausdruck des pragmatischen Umgangs der römischen Eroberer mit kulturellen und religiösen Fragen in den unterworfenen Kulturen. Wo freilich eine Interpretatio Romana gänzlich unmöglich war, weil eine Gottes- und Kultvorstellung fundamental von den römischen Vorstellungen abwich, zeigten sich auf römischer Seite Misstrauen und Vorurteile, besonders gegenüber monotheistischen Religionen wie der Jüdischen oder später gegenüber dem Christentum.

Ein anschauliches Beispiel für die Interpretatio Romana von keltischem Glaubensgut stellen die hauptsächlich in Nordeuropa auftretenden „Jupitergigantensäulen“ dar. Dabei handelt es sich um einen Denkmalstyp, der so nur im keltischen Einflussbereich des römisch besetzten Obergermanien vorkommt. Vorbild der großen Mainzer Jupitergigantensäule von 59 v. Chr. scheint eine Säule auf dem Kapitol in Rom gewesen zu sein, die dort schon 63 v. Chr. aufgestellt wurde. Die Mainzer Säule wurde dann überall in den germanischen Provinzen kopiert. Der Aufbau ist fast immer gleich: auf einer dreistufigen Sockelplatte steht ein Viergötterstein, darüber ein Wochengötterstein, dann eine geschuppte Säule und über dem Säulenkapitel der Gigantenreiter.

Wie auch die Weihesteine oder Grabsteine war die Säule bunt bemalt. Vor dem Säulenmonument von bis zu 12 Metern Höhe war stets ein Opferaltar aufgestellt. In der durch eine Mauer geschützten Kultstätte befanden sich häufig anderen wichtigen Gottheiten geweihte Altäre, z.B. der keltischen Pferdegöttin Epona oder einem Genius Loci.

Jupitergigantensäulen finden sich häufig in Einzelgehöften - „villa rustica“ oder aber auch in den von Handwerkern bewohnten Teilen der Dörfer, die sich um die Kastelle herum bildeten. Leider wissen wir nicht, wo genau die Obernburger Jupitergigantensäule gestanden hat. Jedoch hat ihre Nachbildung einen interessanten Standort direkt vor dem Römermuseum gefunden und weist an dieser Stelle auf die unterschiedlichen Glaubensrichtungen, die hier verschmolzen sind, hin.

Auf den ersten Blick handelt es sich um die Darstellung von römischen Gottheiten. Auf dem Viergötterstein werden häufig die Götter Juno, Merkur, Herkules und Minerva dargestellt. Darüber finden sich die „Wochengötter“ Saturn (Samstag), Sol (Sonntag), Luna (Montag), Mars (Dienstag), Merkur (Mittwoch), Jupiter (Donnerstag) und Venus (Freitag). Die Säule krönt eine Darstellung Jupiters, des Himmelskönigs, wie er einen der Giganten, die Verkörperung von Chaos, niederreitet.

Einzig die baumstammartige, geschuppte Säule unterhalb des Kapitels mit den Vierjahreszeiten gibt einen ersten Hinweis auf die Doppeldeutigkeit: hier handelt es sich nämlich um ein übliches keltisches Motiv.

Bei den lokal unterschiedlichen Zusammensetzungen der Motive des „Schemas“ wie bei der hier in Obernburg gefundenen Säule, wird der keltische Einfluss noch deutlicher: Bei der als Blickfang für das Römermuseum auf dem ehemaligen Mühlbachgraben aufgestellte Säule trägt Jupiter das Sonnenrad, das Symbol des keltischen Gottes Taran am Arm.

Eine weitere Besonderheit der Obernburger Säule liegt darin, dass er auf dem Viergötterstein nur drei Gottheiten zeigt, nämlich Proserpina, die Gemahlin des Herrschers der Unterwelt Hades und Schutzgöttin der Fruchtbarkeit auf der vorderen Seite, links von ihr Mars, der als Kriegsgott verehrt wurde und rechts davon Victoria, die Siegesgöttin. Vermutlich stand die Säule direkt an der sie umgebenden Mauer, so dass nur drei Reliefs möglich waren.

Mars

Proserpina

Victoria

Der normalerweise mit den acht Göttern besetzte Stein, die den Wochentagen ihren Namen gegeben haben, zeigt hier nur vier Gottheiten: Vulkan, den Schutzgott der Schmiede, Herkules, den Sohn Jupiters, der ihm beim Kampf gegen die Giganten geholfen hat, Minerva, die Schutzgöttin der Handwerker und Gewerbetreibenden und Juno, die Gemahlin Jupiters und Schutzgöttin der Ehe und Familie.

Vulkan

Herkules

Minerva

Juno

Die die Säule krönende Figur des offensichtlich als Jupiter dargestellten Taran, des keltischen Radgottes, deutet jedoch an, dass vielleicht auch die anderen Gottheiten romanisierte keltische Götter verkörpern könnten.

Die keltischen Seher achteten sehr genau auf die regionalen Verschiedenheiten der Natur, mit der die Götter eins sind und in denen sie sich auch verschieden zeigen. Daher riefen sie die Götter unter zahllosen – bekannt sind 374 – Namen an, von denen die Mehrzahl regional verschiedene Erscheinungsformen derselben Gottheiten bezeichnen.

Zudem drückten die Druiden Geheimnis und Unendlichkeit des Göttlichen durch größtmögliche mythische Vielfalt, Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit aus. Jede keltische Gottheit hat daher eine Vielzahl von Gestalten, die oft in Dreiheiten verbunden sind, oft aber auch allein stehen. Das macht ein „systematisches” Verständnis nach römischem Vorbild unmöglich: Allein für den römischen Mars finden sich auf Inschriften 69 verschiedene keltische Entsprechungen. Diese Eigenart erleichterte aber vermutlich auch die Romanisierung der keltischen Götter - wenn jeder Gott sowieso verschiedene Namen trägt, dann kann er auch ohne Probleme eine römische Bezeichnung tragen!  Sehr weit verbreitet war das keltische Konzept eines "Himmelsgottes", der später häufig mit dem römischen Jupiter gleichgesetzt wurde. Der bekannteste Himmelsgott ist Taranis, Gott des Himmels, des Wetters und des Donners. Taranis Attribut ist das Rad als Zeichen für die Sonne, die er ebenfalls beherrscht und der Donnerkeil, mit dem er das Wetter regelt. Die keltischen Jupiter-Gigantensäulen deuten zusätzlich auf einen Mythos hin, in dem der keltische Gott Taranis gegen erdgeborene Riesen kämpfte.

Besonders verbreitet bei den Kelten war die Verehrung eines Kriegsgottes. Unter den zahlreichen Namen wird Teutates am häufgsten genannt. Dieser keltische Kriegsgott wurde zumeist als bewaffneter, behelmter Krieger mit Speer und Schild dargestellt. Von den Römern wurde Teutates zumeist mit Mars gleichgesetzt. Der römische Kriegsgott Mars stand, als Stammvater der Römer verehrt, gleich nach Jupiter in der Rangfolge der Götter, steht also wie Teutates an wichtiger Stelle im Götterhimmel und wird mit den gleichen Attributen dargestellt.

Dieser offensichtlich bedeutende Gott wird auf unserem Stein neben die eher untergeordneten Göttinnen Proserpina und Victoria gestellt. Diese Bewertung ändert sich jedoch, wenn man die keltischen Gottheiten zuordnet: Die keltische Totengöttin, die hier mit der römischen Proserpina gleichgesetzt wird, verkörperte bei den Kelten das Konzept einer großen Götterkönigin oder Muttergottheit. Dargestellt wurde diese wohl zumeist thronend und Gaben im Schoß haltend. Zwei überlieferte Namen solcher Göttinnen sind die keltiberische Adaegina sowie die in Süddeutschland und dem Donaugebiet verehrte Aericura. Auch Proserpina verkörpert die Fruchtbarkeit, wenn sie nach vier Monaten Gefangenschaft im Hades für acht Monate in die Oberwelt aufsteigen darf, so dass auch hier von einer Übertragung der Eigenschaften und Bedeutsamkeit der keltischen auf die römische Todesgöttin ausgegangen werden kann und somit die Bedeutung von einer eher zweitrangigen im römischen auf eine sehr wichtige Gottheit im keltischen Glaubensbereich gesteigert wurde.

Ähnliches gilt für die Darstellung der Victoria. Eine sehr weit verbreitete Vorstellung der Kelten war die einer weiblichen Schlachtengottheit; überlieferte Namen sind Cassibodua, Andraste oder Andarta. Zumeist wurde die Schlachtengöttin in Gestalt einer bewaffneten kriegerischen Frau mit Schild, Speer und Helm verehrt. Besonders hervorzuheben ist auch die keltische Göttin des Landes und des Stammes. Häufig galten solche Göttinnen als Mütter des nach ihnen benannten Stammes oder Verkörperung eines speziellen Gebietes. Die Funktion der Landesgöttin konnte sich - wie auch die des Stammesgottes - sehr oft mit der anderer Gottheiten wie der Schlachtengöttin überschneiden.

Auch die weiteren dargestellten Gottheiten erweisen sich bei näherer Betrachtung als Hauptgötter der keltischen Religion: Statt Vulkan, dem Schutzgott der Schmiede kann der keltische „Gott der Wege“ Esus dargestellt worden sein. Der Gott Esus wurde häufig als bärtiger Mann, der einen Baum fällt, gezeigt. Laut Cäsar war der Gott der Wege der wichtigste Gott der Gallier, Beschützer des Handels und Erfinder aller Künste.

Die Darstellung des Herkules mit seiner Keule zeigt vermutlich den keltischen Gott der Kraft und Stärke. Darstellungen eines riesigen, kahlköpfigen Mannes mit gewaltiger Keule oder Knüppel wurden recht häufig in Gallien und Britannien entdeckt. Ein keltischer Name für diese Gottheit ist nicht überliefert.

Das Relief der Minerva könnte auch die keltische Göttin des Lichts, als weibliches Gegenstück zum männlichen Lichtgott zeigen. Diese Göttin wurde als Göttin von Handwerk und Künsten aber auch des Feuers von den Römern mit Minerva identifiziert. Der keltische Name der Göttin „Sulis“, der mit dem römischen Sol und der germanischen Sól verwandt ist, deutet jedoch eher auf eine Sonnengöttin hin.

Wahrscheinlich war sie eine Göttin des Zentralfeuers, der Heilung, Wärme und Thermalquellen. Dargestellt wurde die Göttin zumeist als stehende, ernst blickende Frau mit langen Gewändern und manchmal Attributen wie Stab oder Helm, ähnlich wie auch die römische Minerva.

Die Darstellung der Göttin Juno könnte erneut auf die Muttergottheit verweisen, mit der sie im allgemeinen gleichgesetzt wird.

Durch die Mannschaft des Britonennummerus „Nemaningensis“, dessen Standort in Obernburg vermutet wird und auch durch in Aquitanien ausgehobenen Teile der 4. aquitanischen Reiterkohorte gelangten Soldaten mit zum größten Teil keltischem Ursprung nach Obernburg. Viele werden sich als Veteranen hier im Kastellvicus als Handwerker niedergelassen und ihre keltischen Glaubensvorstellungen beibehalten und gepflegt haben. Vielleicht hat sich mit der Obernburger Jupitergigantensäule ein Beispiel für religiöse Toleranz bis in unsere Zeit erhalten.

Eva-Marie Wagner