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Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

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Gerben - ein untergegangenes Handwerk

Gerber oder Löher war ein Beruf, der in der Familie Wörn, vorher Helm, in  der Mainstraße schon seit vielen Generationen ausgeübt wurde. Ein Gerber arbeitete in der Nähe von Gewässern. So besaß die Familie Wörn unterhalb des früheren Maintores am ehemaligen Mühlbach ein Gebäude, wo Felle in der “Bäsch” gewässert werden konnten. Nicht weit davon musste der Gerber wohnen, damit ihm  “die Felle nicht davon schwammen”, wie auch heute noch eine Redensart besagt.

Gerben- ein langwieriger Vorgang
Das eigentliche Gerben dauerte sehr lange. Die Rinderhäute mussten bis zu einem Jahr in einer bis 2,50 m tiefen Lohgrube lagern. In dieser langen Zeit bewirkte die gerbsäurehaltige Lohbrühe den chemischen Prozess der Gerbung der Häute zum Leder. Die Häute lagen während der Gerbzeit zwischen Schichten von Lohe, wie man die gemahlenen Rindenschnitzel von Eichen- oder Fichtenbäumen nannte. Einige Lohgruben befanden sich schon lange Zeit im Hinterhof der Mainstraße, ihre Zahl wurde aber im letzten Jahrhundert stark vergrößert. Durch den Bau der ersten Obernburger Mainbrücke bedingt verlagerte ab 1885 Heinrich Wörn die Werkstätte vom Bach weg in die Mainstraße. Neben dem Grubenhof entstand dabei eine für die damalige Zeit moderne Lederfabrikationsstätte, wo die Sohlenherstellung in größerem Umfang betrieben werden konnte. Um 1890 wurde auch eine Wasserwerkstatt errichtet, wo die Felle entfleischt und enthaart werden konnten. In den oberen Stockwerken wurden die gegerbten Häute getrocknet und schließlich zu “Croupons” geglättet und gewalzt. Außerdem baute der junge Lederfabrikant ein Lagergebäude, wo die Rinde trocken gelagert und gemahlen werden konnte.

Viele Zulieferer
Bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts bekam die Lederfabrik regelmäßig geschälte Eichen- oder Fichtenrinde aus dem Spessart oder Odenwald geliefert. Obernburger Bauern oder Fuhrleute holten sie vom Bahnhof oder aus den Wäldern ab. In speziellen Niederwäldern ernteten Waldbesitzer in 20jährigen Umtriebszeiten die Rinde zum Gerben. Viele  Landwirte  und  Metzger  aus der Umgebung verkauften ihre Rinderhäute in der Mainstraße oder ließen sie im Lohnverfahren gerben. Andererseits holten Schuhmacher ihren Lederbedarf dort ab. Per Bahn verschickte die Fabrik einen Großteil ihrer Produktion an Kunden bis in die Gegend von Hannover. Auch Schuhfabriken erhielten insbesondere für die Besohlung von Militärstiefeln große Sendungen.

Recycling im damaligen Produktionsprozess
Im damaligen Produktionsverfahren fiel wenig Abfall an. Fleischreste ergaben Grundstoffe für die Leimherstellung, die getrockneten Haare nahmen die Verputzer zur Verfestigung des Deckenputzes. Aus der verbrauchten Lohe gewann man durch Erhitzen und Auskochen in der Extraktion noch vorhandene Gerbsäure. Anschließend wurde die getrocknete Lohe in einer Dampfmaschinenanlage verbrannt. Der Dampf lieferte die nötige Hitze für die Extraktion, aber auch in der Vorkriegszeit die notwendige Energie für den Strom, der im Betrieb gebraucht wurde.

Gummi verdrängte das Leder
Als der Gummi nach dem 2. Weltkrieg in immer stärkerem Maß auf die Schuhsohlen geklebt wurde, ging die Zeit für viele Gerbereien ihrem Ende entgegen. Betriebe in Kleinwallstadt und Klingenberg schlossen Mitte der fünfziger Jahre ihre Tore, die Obernburger Gerberei wurde 1966/67 stillgelegt. Vorbei war die Zeit, wo mitten in der Altstadt der aromatische Geruch der Lohe zu riechen war, ein hoher Kamin rauchte und der Staub und Lärm der Lohmühle Nachbarn in den engen Altstadtgassen ärgerte.  Vorbei aber auch die Idylle, als in den fünfziger Jahren ein Storch während einer Revision der Dampfmaschine sein Nest auf dem Kamin baute.

Helmut Wörn