hvvlogosw

Heimat- und Verkehrsverein (HVV)
 63785 Obernburg am Main

Inhaltsverzeichnis

Startseite

Vereinsziele, Vorstand

Vereinsgeschichte

Obernburger Geschichte/n

Römische Geschichte/n

Bauwerke und Gebäude

Persönlichkeiten

Mundart

Aktivitäten

Tanz- und Kostümgruppe

Links

Impressum

Beitrittserklärung

banner_hvv

Getreideernte vor einem Menschenalter

Bei günstiger Sommerwitterung tauchen seit fünf Jahrzehnten ab Juli in den Fluren mächtige Mähdrescher – nur von einem Mann bedient – auf. Zunächst werden die Gerstenfelder bis auf die Stoppeln abrasiert, dann folgen die Roggen- und danach die Weizenfelder. Die Körner prasseln durch einen Trichter auf einen großen, von schweren Traktoren gezogenen Kastenwagen und dann geht es schnell zum Lagerhaus oder in die Mühle. So einfach ist heute die Getreideernte. Noch vor 50, 60 Jahren war sie für jede Bauernfamilie eine schweißtreibende Arbeit, wie der Bericht eines Mithelfenden zeigt.

War das Getreide reif, ging es mit vielen Helfern auf die Ährenfelder. Opa Franz, das „Schlockerfass“ an der Seite, Essigwasser mit dem Wetzstein darin, schlug (nicht mähte) mit dem Reff reihauf/reihab die dürren Halme ab. Ihm folgten auf der Spur die ältesten Töchter Marie und Lisett. Sie nahmen flugs mit der Sichel einen Arm voll Getreide und legten es auf die „Saalschen“ (Seilchen). Damals musste man noch die Kunst aus Getreidehalmen gewundene Saalschen zu legen beherrschen, mit denen die geschnittenen Ähren zu einem Garbenbund zusammengeschnürt wurden. Sache der Ferienenkel Karl und Richard war es dann, die Kornstengel mit diesen Saalschen zu Garben zusammenzubinden und zum Trocknen aneinandergelehnt aufzustellen.

Mähen mit dem Reff (Korbsense)

Ähren werden auf die Saalschen gelegt

Sicheln und “Schlockerfass” (Wetzsteinbehälter)

Aufstellen der Garben zum Trocknen
(Quelle: Heimatbilder von Albert Bichler)

Beim Zwölf-Uhr-Läuten wurde Rast gehalten, wenn möglich unter einem schattenspendenden Baum oder, wenn es daran mangelte, hinter einem Ährenzelt, wo die Sonne etwas Schatten warf. Da wurde dann mit dem in Selterwasserflaschen abgefüllten Ebbelwoi der Durst gelöscht (die Flaschen waren zum Kühlhalten mit nassem Zeitungspapier umwickelt). Dazu wurde das mit auf den Acker genommene deftige Vesper mit Heißhunger verspeist. Für die mithelfenden Kinder und die „Weibsleit“ gab es aus einer großen blau-emaillierten Kanne kalten Kaffee, einen „Muggefugg“, der aus von Oma Anna selbst gerösteten Gerstenkörnern und Zusatz von Zichorie (zum Schwärzen) zubereitet worden war. Und wenn ein längeres Tagewerk bevorstand, dann ließ die Großmutter das Essen von einem ihrer vielen Enkel zu den Erntearbeitern „aufs Feld tragen“. 

Wehe, wenn es aber mitten in den „Ährn“ (der Getreideernte) regnete. Dann zogen schwere Gewitter im bäuerlichen Haushalt auf und entluden sich über Mensch und Tier. Und dem mürrisch-grimmigen Gesicht des Bauern ging dann jeder gerne aus dem Weg. Kam die Sonne aber wieder hinter den Wolken hervor, hieß es: „Alles raus auf den Acker – umsetzen“! Die Gebunde wurden gelüftet, damit sie rasch abtrockneten, denn sonst wuchsen die Ähren aus – die Körner fingen an zu keimen. Das bedeutete Verlust an Qualität und Gewichtsabzug. Es war zum „Auswachsen“. Vielleicht rührt der Ausdruck für "Ärgernis" daher.

Nach einigen Tagen kam dann der mit zwei Pferden (oder wie beim Salsche Lepold mit zwei buntscheckigen Kühen) bespannte Leiterwagen aufs Feld gefahren. Die Garben wurden mit der Mistgabel hinaufgegabelt und quadratisch im Lot hoch aufgetürmt; ein Werk für Könner. Und wenn auf den holprigen, schiefen Feldwegen eine Getreidefuhre umkippte, war das für jeden Bauern eine Schande, die noch lange an den Wirtshaustischen beim „Thedor“ (Gasthaus Traube) oder im „Urtyp“ Gesprächsstoff war. Zu Hause angekommen hieß es abladen und die Garben in der Scheune aufschichten.

Der große mit viel Schweiß und Mühe verbundene Arbeitstag kam dann im Spätsommer – da konnte man dann essen „wie ein Scheunendrescher“. An diesem Tag kam die Dreschmaschine auf den Hof: bei Großbauern für einen ganzen, bei kleineren Landwirten für einen halben Tag. Die Dreschmaschine war mit einem ledernen Treibriemen mit einem Starkstrommotor verbunden. Auf  und um diese ratternde, klappernde, rüttelnde und lärmende Maschine hatten viele regsame Hände zu tun. Oben standen zwei Mann, die die gebündelten Garben mit der „Heebe“ (gebogenes Messer) aufschnitten und in den gefräßigen Maschinenschlund warfen. Unten kamen die schweren Strohballen, die als Streu fürs Vieh dienten, heraus und mussten zum Scheunenboden hinaufgegabelt oder gezogen werden. Die ausgedroschenen Körner wurden in zentnerschwere Säcke gefüllt und mussten dann über eine schmale Stiege zum Getreidespeicher über dem Viehstall hochgeschleppt werden. Dort wurden sie zum Trockenwerden aufgehäuft. Wochen später wurde das trockene Getreide dann zum Mahlen in die Mühle gebracht.

Dreschplatz am Main

Dreschmaschine auf der Hohlwiese

Wenn die Dreschmaschine verstummt war, wurde bei Opa Franz für alle mithelfenden Bauersleute – Nachbarhilfe war damals beim Dreschen selbstverständlich – ein Fässchen Bier angesteckt und ein kräftiges Vesper aufgetischt. Eine besondere Köstlichkeit war es, wenn die Bäuerin dann auch noch frisch gebackenen „Quetscheplaaz“ (Zwetschgenkuchen) servierte.

Bevor die Dreschmaschine wie geschildert zu den „Großbauern“ von Hof zu Hof fuhr, konnten die „Kühbauern“, die nur wenige Getreidefelder besaßen, direkt zu der unter der Obernburger Mainbrücke stationierten Dreschmaschine fahren und dort ihr Getreide dreschen lassen. Sie nahmen dann das gebündelte Stroh und die mit Körnern prall gefüllten Säcke gleich wieder mit nach Hause.

Karl-Heinz Neeb